Heute stieß ich bei Youtube zufällig auf das Video skinnerbox live fusion festival 2019 turmbühne friday full set, für das ich hier keine Werbung machen möchte. Es geht um den Unschärfebalken, der sich quer über das Bild zieht:
Der Veranstalter hat darauf bestanden, daß die Leute, die auf der Bühne für die Belustigung verantwortlich sind, Leute aus dem Publikum unkenntlich machen müssen, wenn sie auf den von den Belustigern angefertigten Videos ihrer Arbeit zufällig erscheinen sollten.
Ein Kommentar unter dem Video lautet: “Fett. und Respekt für den Datenschutz!” [sic]
Fett ist wohl ein Kompliment für die Belustiger. Was “Respekt für den Datenschutz” bedeuten soll, kann man nur ahnen. Gemeint ist sicherlich: Respekt vor dem Anfertiger des Videos für die Berücksichtigung des Datenschutzes in Bezug auf die Privatsphäre des Publikums.
Es gibt mittlerweile Leute, die glauben, daß ein Namensschild am Klingelblech eines Hochhauses ein Verstoß gegen die DSGVO wäre.
Es gibt Leute, die glauben, daß Street Photography (Straßenfotografie) verboten wäre. Oder zumindest, wenn schon nicht, so doch gehört. Also, man sollte die verbieten, meinen die wohl.
Es gibt Leute, die sich nicht mehr trauen, Straßenfotografie zu praktizieren.
Wann werden Videokameras als potentielle Waffe anerkannt und nicht mehr frei verkauft? Wann werden Videokameras für Privatleute grundsätzlich verboten und nur noch bei spezieller, behördlich anerkannter Begründung verkauft?
Jeder Volldepp hat heute eine Videokamera in der Hosentasche, mit der er Leichen, Leichenteile, bewußtlose Opfer und beliebige Katastrophenszenarien filmen und bei Fressebuch teilen kann. Teilen nennt man heutzutage die Veröffentlichung von Bilddarstellungen, bewegt und unbewegt, ohne Berücksichtigung von Gesetz und Ethik. Einfach so.
Aber wenn jemand auf eine öffentliche (und damit eben nicht private), läppische, sogenannte Musikveranstaltung geht, um dort langweilig herumzulaufen oder zu -zappeln, dann, verflucht noch eins, dann hat er so ein absolut abgefucktes Recht auf seine verschissene Privatsphäre, daß er unkenntlich gemacht werden muß, wenn er zufällig durch das Kamerabild tappt? Ernsthaft?
Was für eine Logik steckt dahinter? Wenn ich heute nach Trier fahre, um dort Fotos oder ein Video von der Stadt anzufertigen, muß ich dann vorher die Trierer Bürger bitten, die Bereiche zu meiden, in denen ich filmen oder fotografieren will? Kann mir einer erklären, wie man filmen soll in einer Welt, in der es verboten ist, irgendwelche random people mitzufilmen? Was für eine Darstellung der Welt soll das werden, in der jede Person unkenntlich gemacht werden muß? Oder in der erst gar keine Menschen auftauchen?
Ich habe mittlerweile Videos gesehen, die sorgfältig so aufgenommen worden sind, daß man Menschen nur von hinten sieht. Toll. Wirkt atmosphärisch stimmig. Echt super.
Ich bin kein Ignorant, was den Schutz der Privatsphäre angeht, aber ich weiß auch, daß es im wahren Leben keinen Incognito-Modus gibt. Wer das glaubt, hat einen Knall. Jeder von uns ist bei entsprechendem Rechercheaufwand auffindbar und identifizierbar. Man kann ja auch schlecht sein Nummernschild unter Berufung auf die DSGVO abdecken oder gleich ohne herumfahren. Und wenn ich vor die Tür trete, bin ich öffentlich sichtbar.
Niemand kann um sich herum eine Wolke mitziehen, in die niemand hineinhorchen, hineinfilmen oder hineinfotografieren darf. Und wenn ich zufällig vor dem Ulmer Münster stehe, heißt das nicht, daß in dieser Zeit niemand ein Foto dieses Bauwerks anfertigen darf. Und auch nicht, daß ich den Fotografen, der dies trotzdem tut, deswegen verklagen kann.
Ein Foto, auf dem menschliche Gesichter ausgegraut sind, ist für mich ein verunstaltetes Foto. Und ein Foto, das eine Stadt ohne Menschen zeigt, ist ein geisterhaftes Foto, das nicht mehr die Realität abbildet.
Und all das, während auf Facebook und Instagram täglich oder sogar stündlich Millionen von Fotos gepostet werden, mit Millionen von Menschen, die mit dem, der fotografiert und gepostet hat, nichts zu tun haben. Und wahrscheinlich nicht einmal wissen, daß sie dort auftauchen. Aber auf einer hippen, modernen Veranstaltung für hippe, moderne, aufgeschlossene, junge Menschen, da soll das Publikum unkenntlich gemacht werden. Ist es irgendwie von Nachteil, als jemand erkannt zu werden, der auf so eine Veranstaltung geht? Schadet das bei der Jobsuche? Oder bei der Partnersuche?
Ich kapier’s nicht. Was für ein Schwachsinn.
PS: Mittlerweile wurde mir eine Theorie für das Dekret des Veranstalters angeboten, nach der die Zahl der Besucher nicht durch das Vergraulen von allfälligen Drogenkonsumenten reduziert werden sollte, die möglicherweise verstrahlt in die Kamera glotzen. Oder sogar beim Kauf oder Verkauf von Drogen zufällig gefilmt wurden. Hm, ja, deswegen wurde mir von einem Kommentator des Videos wohl auch vorgeworfen, mein Einwand sei spaßbefreit. Klar, wenn der Spaß von der Pille kommt und nicht von der Mucke…