Dieses ist nicht von Kritik tangiert. Jedenfalls nicht von innen. Eine dialektische Herangehensweise an das Thema findet nicht statt, man findet im Gegenteil unverhohlen subjektive und emotionalisiert vorgetragene Scheinargumentationen, in deren Zusammenhang ausgewiesenermaßen oder potentiell Andersdenkende, die sich der Arbeit dialektisch-kritischer Analyse unterworfen haben, herabgewürdigt und als Ignoranten beschimpft werden.
Den vollständigen Text zur Sendung vom 23.04.2016 findet man hier.
Die Einleitung gibt schon einmal die Richtung vor: “In Deutschland leisten Lehrer Pionierarbeit, wenn sie Computerspiele als Unterrichtsmedium einsetzen. Die Überzeugungstäter benutzen die “Freizeitgestalter” als spielerischen Lernmotor, ziehen mit ihnen weniger beliebte Themen neu auf oder programmieren mit den Schülern gleich eigene Spiele. Inwieweit kann der Einsatz von Computerspielen den Schulalltag bereichern?”
Es ist also Pionierarbeit, was wohl niemand negativ konnotieren wird. Daß Überzeugungstäter nicht negativ gemeint ist, zeigt sich im Verlauf des Texts. Und die Frage am Schluß, “inwieweit”, läßt nur noch die Frage nach der Quantität zu, nicht mehr die Frage nach Qualität, nämlich, ob diese Vorgehensweise überhaupt erzieherisch sinnvoll ist.
Dann wird folgendes in Bezug auf Computerspiele festgestellt: “Als kulturelles Medium stehen diese gleichberechtigt neben Werbung, Film oder Literatur. In der Schule finden sie immer noch kaum statt.”
Werbung, Film und Literatur sind also kulturelle Medien. Gut. Da der Begriff kulturelles Medium völlig offen ist und nicht einer bestimmten Lesart unterliegt, nehmen wir ihn hin. Die Logik hinter dem Satz ist nun: Die Computerspiele finden in der Schule immer noch kaum statt, obwohl sie kulturelles Medium sind. Ich will nicht billig sein und sagen: Klar, in der Schule soll ja auch gelernt und nicht gespielt werden. Aber nehmen wir das ernst, dann heißt das doch, daß alles, was kulturelles Medium ist, in der Schule stattfinden muß. Was immer jetzt auch das Wörtchen stattfinden in dem Zusammenhang bedeuten soll.
Beschriftete Toilettenwände und Klotüren sind auch ein kulturelles Medium, von Graffiti übersäte Autobahnbrücken und Transformatorenhäuschen ebenso. Litfaßsäulen auch, siehe Werbung. Wahlpamphlete und -plakate, Satiresendungen, Shopping-Sender, ja, und letztlich alles, aber auch wirklich alles, was man im WWW finden kann, all das sind kulturelle Medien.
Jetzt kann man mit Fug und Recht fordern, daß die ganze Welt stattfindet in der Schule. Aber haben wir dafür Zeit? Nein, haben wir nicht! Also ist die Logik hinter dem Satz keine. Wir sind gefordert, die Inhalte, die kulturellen Werkzeuge zu lehren, die grundlegend sind für ein emanzipiertes Leben, für die Fähigkeit, sich aus eigener Kraft weiterzubilden.
Minecraft ist jetzt ein ganz besonderes Computerspiel: “Ein Unikat in der kommerziellen Spielelandschaft, das international bereits in der Entwicklungsphase von engagierten Lehrern entdeckt wurde.”
Minecraft wurde also von engagierten Lehrern entdeckt. Die, die es nicht für den Unterricht entdeckt haben, sind also nicht engagiert. So soll, nein, so muß man das verstehen!
Dann folgt etwas später dieser Absatz: “Gerade in puncto Computerspiel paart sich Kritik meist mit Ignoranz. Trotzdem benutzen auch die jüngsten Lehrergenerationen wie ihre Schüler die neuen Medien erst einmal als Konsumenten. Und orientieren sich im Beruf an der klassischen Pädagogik.”
Meistens sind die, die Computerspiele kritisieren, Ignoranten. Das sagt der erste Satz aus. Oder, etwas harmloser formuliert: Kritisiere besser nicht, die Gefahr, daß dich SWR2 für einen Ignoranten hält, ist groß.
Und die klassische Pädagogik (klingt wie Schulmedizin) führt dazu, daß man den neuen Medien nur als Konsument entgegentritt.
“Richtig verstanden bieten Computerspiele einen schülerfreundlichen Einstieg in die digitale Medienerziehung, eine Kernkompetenz der Zukunft, die im Unterricht leider kaum vermittelt wird.”
Digitale Medienerziehung ist eine Kernkompetenz der Zukunft, die im Unterricht leider kaum vermittelt wird. Wer mir den Satz erklären kann, bekommt 100 Heilerpunkte.
“Doch es wird Zeit für eine kritische Auseinandersetzung in der Schule, noch bevor die medienpädagogische Grundlagenforschung endlich belastbare Erkenntnisse liefern kann. Computerspiele können hilfreich sein. Am Ende kommt es aber – wie immer und ganz banal – auf das eigentliche Lehrmedium an – die Lehrerinnen und Lehrer.”
Kritische Auseinandersetzung in der Schule ist also gefordert. Mit was, bitteschön?
Belastbare Erkenntnisse: Dafür, daß es eine gute Idee ist, Kindern Kafka nahebringen zu wollen, indem man sie Die Verwandlung als Grundlage für ein Computerspiel benutzen läßt? Wird dann mit Äpfeln auf den Käfer geworfen oder darf der Käfer irgendwann zurück auf die Beine finden und wie Godzilla die Stadt verwüsten?
Danke für die Vergeudung unser aller Gebühren!
PS: Wer mal bei SWR2 nachschaut, wieviele kritische Berichte es über das Thema gibt, wird auf die Zahl Null kommen. Emotional-subjektiv eingefärbte, bejubelnde Beiträge findet man dagegen leicht.
PPS: Ich teste jetzt HR2 Kulturradio 🙂