Kurze Vorbemerkung: Ich schreibe hier über Dinge, die eine Weile her sind, aber meine Entschuldigung dafür ist, daß sie nichtsdestotrotz einen Bezug zur heutigen Situation haben.
Im November 2013 kam die erste Auflage des Magazins Flow
heraus, wurde schnell ein Erfolg und damit ein Thema, auf dem der Spiegel (Spiegel-Online, um genau zu sein, aber wo ist der Unterschied?) genußvoll arrogant herumreiten konnte:
Letzten Endes geht es dem Spiegel nur um Unterhaltung (das sieht die Spiegel-Redaktion sicher nicht so).
[In den Medien wird oft suggeriert, es ginge um etwas anderes als um Unterhaltung, deshalb streiche ich das hier heraus: Dem Spiegel geht es nicht um eine feinsinnige Kulturanalyse, um konstruktive Kritik an Presseerzeugnissen, es geht nur und ausschließlich um einen Unterhaltungszweck, der natürlich nur bei einem Publikum verfängt, das sich auf den dümmlich-intellektualisierenden Gestus des Spiegels einläßt.]
Wenn diese Unterhaltung auf Kosten anderer stattfinden kann, umso besser. Dann bleibt man selber unbekleckert und steht da wie der weltgewandte, auf intellektuelle Gedankengängchen sich beschränkende Weltbürger, der es eigentlich nicht nötig hat, sich überhaupt zu irgendetwas fundiert zu äußern und für tiefschürfende Analysen ohnehin keine Zeit hat, da ihm diese sonst für genußvollere Zeitvertreibe fehlt, wie z. B. frankophiles Käselutschen.
Die Retro-Ästhetik, die Hammelehle diagnostiziert, dient aus Sicht Hammelehles zur Ausblendung der Realität. Und eines dürfte dem versierten Spiegel-Kenner klar sein: Wenn einer die Realität gepachtet hat, dann ist es der Spiegel.
Ein Großteil der in diesem Artikel vorgetragenen Kritik greift eigentlich nur dann, wenn man unterstellt, ein Leser, oder wie der Spiegel sich sicher ist, ein die Flow lesendes Latte-Macchiato-Mädchen, würde nur die Flow lesen, ausschließlich. Die Vorstellung, daß ein mündiger, aufgeklärter Bürger, ob männlich oder weiblich, Latte-Macchiato oder eher Espresso bevorzugend, auf die Idee kommen könnte, sich einer Vielfalt an Medien zu bedienen, kommt Herrn Hammelehle nicht.
Er analysiert:
[Zitatanfang] Mit diesem Konzept ist “Flow” erstaunlich erfolgreich. Seit der ersten Ausgabe im November 2013 konnte das Magazin seine Auflage mehr als verdreifachen. Bei der dritten, nun erscheinenden Nummer liegt sie bei 180.000 Exemplaren. Sollte die auch nur annähernd verkauft werden, wäre das eine Sensation – nicht nur für die Branche, die in eigener Sache allzu häufig “beängstigende, brutale oder traurige Nachrichten” produziert, sondern besonders für Gruner+Jahr selbst: Die “Financial Times Deutschland” hat der Verlag eingestellt, der “Stern” musste trotz aufwendigen Relaunchs einen dramatischen Auflageneinbruch hinnehmen. Sogar ein Verkauf des Verlagssitzes am Hamburger Baumwall wird in Erwägung gezogen. [Zitatende]
Eine Sensation! Warum? Weil Gruner+Jahr in schwere Wasser geriet. Und jetzt auf einmal ein Erfolgsprodukt hat. Der Spiegel war von solcher Unbill nie betroffen, deswegen kann er neidlos auf dieses Erfolgsprodukt schauen. Und sich nur wundern über eine Branche, “die in eigener Sache allzu häufig “beängstigende, brutale oder traurige Nachrichten” produziert”. Es fühlt sich merkwürdig an, wie hier an der Tatsache vorbeiformuliert wird, daß der Spiegel ein Teil des darbenden Print-Medien-Markts ist. Man tut aber völlig unberührt.
Sogar der Springer-Verlag, der frühere Erzfeind, wird als Zeuge angeführt:
[Zitatanfang] Der Axel-Springer-Verlag hat angesichts der Zeitungskrise einen drastischen Schnitt gemacht und sich von Traditionstiteln wie der “Hörzu” oder dem “Hamburger Abendblatt” getrennt. Die Zukunft sieht Springer-Chef Mathias Döpfner im Netz. Sollte man aus dieser Strategie die Erkenntnis ableiten können, Papier sei von gestern, so setzt “Flow” – beworben als “Magazin für Paperlovers” – sie konsequent um. [Zitatende]
Referiert wird auf Zeitungen, aufgezählt werden ein zweiwöchentlich erscheinendes Fernsehblatt und eine echte Tageszeitung. Für beide Segmente hat sich der Markt drastisch geändert, trotzdem unterscheiden sie sich strukturell erheblich. Und um eine Aussage über Flow zu treffen, eignen sich diese beiden Vergleichspublikationen nicht.
Daß die Flow auf Papier setzt, und das in doppelter Hinsicht, reflektiert Hammelehle nicht. Er schreibt es nur, aber in seine Gedanken dringt es nicht vor. Daß Papier etwas materielles ist, das gute Chancen hat, die Lebensdauer einer Festplatte locker zu übertreffen, und daß die auf Papier verwendeten Codes seit historischen Zeiten lesbare sind und es auch immer bleiben werden, was man von keinem digitalen Code je wird behaupten können, ficht Hammelehle nicht an. Dabei hätte man hier sehr interessante Überlegungen darüber anstellen können, was Menschen (nicht nur Mädchen) an Papier mögen und warum.
Den Höhepunkt seiner Herablassung erreicht der Autor in diesem Absatz:
[Zitatanfang] Alles ganz entzückend, ziemlich naiv und selbstverständlich retro – in der Optik, wie auch im Weltbild: “Flow” richtet sich offenbar an eine Zielgruppe von Leserinnen, die nicht nur vor den Zumutungen der Zeitungslektüre geschützt werden möchte, sondern ganz Allgemein den Rückzug aus einer als bedrohlich empfundenen Welt angetreten hat. [Zitatende]
Entzückend ist keine Vokabel, die einer seiner Empfindungskategorien entstammt: Er ist ganz Mann, und als solcher verwendet er den Begriff, wenn überhaupt, dann zynisch und herabsetzend, so wie hier, denn auf das “entzückend” folgt, wie könnte es anders sein, sofort das “naiv”. Damit ist dann auch das transportierte Weltbild und sein Adressat klar: Frauen, dieses Faktum gilt es als erstes festzuhalten. Schutzsuchend, paßt. Vor Zumutungen. Wie z. B. der Spiegel-Lektüre? Nein, der Zeitungslektüre allgemein. Als ob Zeitunglesen nicht zum größten Teil eine Zumutung sei. Man sollte sich aber einmal der Anstrengung unterziehen, herauszufinden, warum das so ist. Und schließlich: Wer Flow liest, zieht sich aus der als bedrohlich empfundenen Welt zurück. Das insinuiert, die Welt sei nur für das Latte-Macchiato-Mädchen mit seiner Flow im Shopper bedrohlich. Darüber kann man trefflich diskutieren, finde ich.
[Zitatanfang] Die “Flow”-Frau mag jung sein, sie mag Geschmack haben – vom Leben, so scheint es, ist sie ziemlich überfordert. Das Magazin für sie ist auch ein Magazin für alle, denen die Beschleunigung des modernen Lebens zu viel ist. [Zitatende]
Typisch Frau wieder: Ständig überfordert. Der Autor dagegen: Beschleunigt problemlos wie Sau und fährt dabei alles über den Haufen. Das moderne Leben ist halt nichts für jedermann, da bedarf es schon eines solchen Überfliegers, der alles von oben sieht und für alles seine Schubladen hat.
[Zitatanfang] “Flow” ist viel urbaner als das Landfrauenblatt – letztlich aber genau so provinziell: Bloß keine echten Nachrichten, sondern die heile Welt in ihrer ganzen Banalität. [Zitatende]
Die Erzeugung einer Mitteilung beginnt mit einer Unterscheidung (siehe Luhmann). Und der Spiegel unterscheidet auch, vor allem das, was ihm nützt, von dem, was ihm nicht nützt. Aber das sagt er nicht, er sagt, indirekt natürlich, denn Eigenlob stinkt bekanntlich, daß es echte Nachrichten gebe (die nur der Spiegel-Leser verträgt, andere sind davon überfordert). Denen können ja nur die gegenüberstehen, die unecht, also falsch sind. Und die stehen z. B. in der Flow.
Die heile Welt ist falsch. Ja, die pauschale Aussage, die Welt sei heil, ist kompletter Quatsch, das festzustellen, ist aber auch kompletter Quatsch, denn es handelt sich um eine Banalität. Der Spiegel stellt das hier fest, um so zu tun, als gäbe es echten Journalismus und falschen. Und Flow ist natürlich falsch und hat daher keine Legitimation.
[Zitatanfang] Dass sich gerade derartige Magazine gut verkaufen, sagt einiges über die Wünsche der Leserschaft. Noch mehr aber über die Zukunft des Printjournalismus. Schließlich zeigt Gruner+Jahr mit “Flow”, dass man auch in der Medienkrise noch Erfolg haben kann: mit einem Magazin, das schon bei Erscheinen fast so alt wirkt, wie die Zeitung von gestern – und damit der Musealisierung des Print-Journalismus Vorschub leistet. [Zitatende]
Es wird Zeit, daß der Spiegel, ob auf Papier oder auf Displays, endlich im Museum landet. Und was der Spiegel über die Wünsche der Leserschaft weiß, das sieht man daran, wie ihn der Focus seinerzeit überholt hat, im ersten Anlauf und auf Dauer! Das soll nicht heißen, daß ich den Focus irgendwie besser oder schlechter finde als irgendein anderes massenmediales Produkt, aber die Selbstbeweihräucherung des Spiegels ist ein Thema, das ohnehin zum Kotzen reizt. Das Beste am oben zitierten Abschnitt ist aber, daß G+J der Erfolg ja nicht gegönnt wird: Nein, diesen Erfolg empfindet der Spiegel als moralische Sauerei, weil mit ihm der Print-Journalismus zu Grabe, sprich, ins Museum getragen wird. Wohin der Spiegel den Print-Journalismus geführt hat, darüber wollen wir an dieser Stelle schweigen. Also, dümmer geht’s nimmer: Spiegel, geh sterben!
Auch die FAZ hat etwas gegen Flow:
Andrea Diener schreibt voller Wut, wie sie schreibt, aber wenig kreativ, wie sie gleichwohl annimmt. Die Kritikpunkte: Erstens die Ästhetik, zweitens die Welt (Sie schreibt: “Über die Welt, die das Frauenmagazin „Flow“ beschwört, kann man sich nur wundern.”).
Der Einstieg in den Artikel ist interessant: Diener “musste gleich diese „Flow“ kaufen und anschauen”. Und zwar, so erklärt sie, weil der Zeitschrift Dinge beiliegen, nämlich Liebesheftchen und Geschenkanhänger. Die Tatsache, daß das so ist, die Zeitschrift aber gleichzeitig nicht die Bravo Girl ist und sich an Erwachsene zu richten vorgibt, macht Diener so stutzig, daß sie kaufen muß.
Dem Verlag wird es völlig wurscht sein, warum jemand seine Produkte kauft, Hauptsache, sie werden es. Ich glaube auch, daß ein solches Produkt in einem iterativen Prozeß ständig an die Verkaufszahlen angepaßt wird. Die Verkaufszahlen und andere Marketingparameter sind das Feedback, das Redaktion und Verlag nach jeder Ausgabe erhalten, und an dem sie ihre Strategie ausrichten. Die Analyse der Gründe, warum Leute das Magazin nicht kaufen, ist wohl wichtiger als die Gründe zu kennen, warum jemand gekauft hat.
In die kritische Betrachtung des Inhalts steigt Diener mit der Aufmachergeschichte ein: “Mit einem frischen Blick auf die Welt”. Man zitiert: “Unser Kopf gleicht einer randvollen Regentonne, gefüllt mit Wissen, Fakten und Alltagsgedanken. Deshalb haben wir es verlernt, die Welt mit den unbefangenen Augen eines Kindes zu betrachten.” Dazu fällt Diener nur ein: “Ich für meinen Teil habe vierzig Jahre lang hart daran gearbeitet, das nicht mehr zu tun und gebe meinen befangenen, erwachsenen Blick nur ungern auf.” Was ja genau das Problem ist.
Diener räumt das auch, wenngleich halbherzig, ein: “Das ist vielleicht ein Fehler…”, und nennt die Entschuldigung: “… weil man derartige angeflauschte Gegenwartsdiagnosen an Wohlfühlschäumchen sonst nicht erträgt”. Das scheint mir doch recht zartbesaitet für eine Journalistin.
Sie fährt fort: “Die Prämisse lautet: Alles ist so schnell und so anstrengend, wir sind so eingefahren und machen nichts mehr mit den Händen.” Woher kommt der Begriff Prämisse? Es bleibt unklar, was sie damit meint. Aber lassen wir die Prämisse weg, dann bleibt das Problem der modernen Welt, besser: Das Problem vieler Menschen in dieser modernen Welt, oder noch besser: Was sie dafür halten! Und wieder stimmt Diener dann doch halbherzig zu: “Das ist eventuell nicht ganz falsch…”, verliert dann jedoch die Übersicht und die sprachliche Contenance: “… lässt sich aber durch die gutgeölte Entschleunigungsvokabel-Routine auch nicht lösen, die einem hier um die Ohren gepfeffert wird.”
Ein bißchen was muß man schon selber tun, Frau Diener!
Ich unterstelle, sie hat die Flow gekauft, weil eine emotionale Reaktion erfolgt ist. Das hat ihr nicht gefallen, also wird rationalisiert. Wut wird dann deshalb daraus, weil sie einen Konflikt zwischen ihrem Intellekt und ihrem Empfinden festgestellt hat. Aber genau da hilft keine Wut weiter, an diesem Punkt hilft nur, in sich zu gehen und mal zu klären, was man da nicht auf die Reihe bringt.
Schöne Theorie, oder? Für mich klingt das ziemlich logisch und eindeutig, denn die Art und Weise, in der von Leuten, die sich selbst als Intellektuelle zu sehen scheinen, auf ein “Latte-Macchiato-Mädchen-Magazin” eingedroschen wird, ist verräterisch.
PS: Warum in dem Spiegel-Artikel mehrfach und ausschließlich Gruner+Jahr genannt wird, während doch ständig das Konzept von Flow kritisiert wird, ist unklar. Schließlich ist Gruner+Jahr nur Lizenznehmer und Herausgeber des Produkts in Deutschland, die Zeitschrift selber ist die Erfindung eines niederländischen Unternehmens, das mit Gruner+Jahr eigentlich nichts zu tun hat.